Forschung am Institut für Religionswissenschaft

Forschungsschwerpunkte des Instituts für Religionswissenschaft an der Universität Heidelberg
Theoretische Ansätze
Religiöse Lehren thematisieren angenommene Götter, Göttinnen und andere außerhalb des Menschen stehende Instanzen. In religiösen Innenperspektiven werden aus diesen Annahmen Vorstellungen über die Welt, den Menschen, den Sinn des Lebens und vieles mehr abgeleitet. Pragmatisch arbeitende Religionswissenschaftler und Religionswissenschaftlerinnen grenzen die von ihnen verwendeten Begriffe und Reflexionen ausdrücklich von diesen religiösen Selbstthematisierungen ab. Sie entwickeln heuristische metasprachliche Begriffe, die Religionen aus der Außenperspektive beschreiben.1
So werden Kategorien zur Beschreibung von Konzepten, Praktiken und Materialitäten entworfen, die in der sozialen Realität von religiösen Akteuren und Akteurinnen eine große Rolle spielen. Gute Beispiele hierfür sind die Heilsvorstellungen und -versprechen von Religionen, ihre Konzepte von vorgestellten jenseitigen Welten, Instanzen oder Ordnungen, Angebote zum Erhalt von diesseitigem und jenseitigem Nutzen oder Rituale und Statuen. Mit Hilfe dieser Kategorien beschreibt die Religionswissenschaft die soziale Realität religiöser Akteure und Akteurinnen in Vergangenheit und Gegenwart.
Die Erforschung religiöser Vorstellungen, Praktiken und Materialitäten unterschiedlichster Epochen und Regionen bringt dabei stets neue Befunde hervor, die es erforderlich machen, bisherige Kategorien zu überdenken, anzupassen oder neu zu entwerfen. Religionswissenschaftliches Arbeiten bewegt sich also stetig zwischen der heuristischen Bestimmung von Begriffen sowie deren kritischer Reflexion und Neujustierung hin und her. Die vorläufige Bestimmung von Begriffen orientiert sich an den jeweiligen Gegebenheiten, also dem aktuellen Stand und Kontext der Forschung und hat zugleich deren beständigen Wandel im Auge. Sie zeichnet sich durch ihren Mut zu punktuellen Konkretisierungen aus. Charakteristisch ist die Bereitschaft zum Wagnis bei gleichzeitigem Bekenntnis zur Vagheit, können doch die Begriffe nicht längerfristig festgeschrieben werden. Deshalb kann diese Vorgehensweise – sowohl im alltagssprachlichen als auch erkenntnistheoretischen Sinn – als pragmatisch charakterisiert werden.
In den letzten Dekaden haben die Theorien der Postmoderne und daran anknüpfende identitätspolitische Debatten die Herangehensweise der pragmatisch orientierten Religionswissenschaft in Frage gestellt. Nach postmodernen und identitätspolitisch ausgerichteten Maximen drücken sich in den von der Religionswissenschaft verwendeten Kategorien Ansprüche an Macht und Herrschaft aus. Diese Maximen wurden vor allem von postkolonialen Ansätzen entwickelt. Kategorien werden demnach angesehen als in Sprache geronnene Mittel, mit denen Vormachtstellungen geschaffen und untermauert werden. Gute Beispiele hierfür sind der Begriff der Religion selbst, die Kategorie des Rituals und das Konzept der Materialität. Postmoderne und identitätspolitische Positionen postulieren, dass sich in diesen und anderen religionswissenschaftlichen Begriffen eine vermeintliche Überlegenheit westlicher Rationalität ausdrückt. Die durch postmodernes und identitätspolitisches Denken beeinflusste Religionswissenschaft verzichtet in der Folge darauf, den Begriff der Religion und weitere Begriffe der Religionswissenschaft inhaltlich näher zu bestimmen. Ja, sie geht noch weiter: Es wird gefordert, den Begriff der Religion unbestimmt zu lassen oder sogar vollständig auf ihn zu verzichten.
Die pragmatische Religionswissenschaft geht davon aus, dass unsere Kategorien abgeleitet sind von der uns umgebenden Welt und ihren sozialen Realitäten. Folglich traut sie uns zu, die soziale Realität mit Hilfe dieser Kategorien erfassen können. Da sich die sozialen Realitäten und unsere Befunde stetig ändern, gilt es auch die Kategorien kontinuierlich zu überprüfen und anzupassen.
Im Kontrast dazu postulieren postmoderne Ansätze, dass es nicht die uns umgebenden sozialen Realitäten sind, die unsere Kategorien formen, sondern dass diese Kategorien als Produkte der Dynamiken von Macht und Herrschaft entstehen. So sei es anhand der Kategorien nicht möglich, uns ein adäquates Bild sozialer Realitäten zu vermitteln. Zwar wird nicht bestritten, dass es soziale Realitäten gibt, doch sei unsere Sicht auf sie stets getrübt durch den Schleier der Dynamiken von Macht und Herrschaft, geronnen in unseren Kategorien. Folglich zielen postmoderne Ansätze darauf ab, die entsprechenden Kategorien zu dekonstruieren. Das heißt einerseits, die in ihnen enthaltenen Machtdynamiken offenzulegen und andererseits auf ihren Gebrauch zu verzichten.
Mit pragmatisch und dekonstruierend orientierter Religionswissenschaft stehen sich also zwei Positionen gegenüber: Entweder – aus pragmatischer Sicht – formt die Wirklichkeit die Sprache und damit unsere Kategorien. Oder – aus dekonstruierender Sicht – ist es die Sprache, die soziale Realität erst konstruiert. Deshalb sei sie nicht geeignet, uns Aufschlüsse über soziale Realitäten zu vermitteln. Als Folge dieser Einsicht erhalten Ansätze, die auf Queering und Disruption setzen, auch in der Religionswissenschaft Zulauf.
Eine Lösung für diese Frontstellung bietet die TRIADISCHE Religionswissenschaft. Sie setzt sich zunächst als Ziel, beide Verfahren abwechselnd anzuwenden. Die konsequente diskurstheoretische Dekonstruktion, wie sie von postmodernen Ansätzen gefordert wird, wird damit nicht gegen die pragmatische Formulierung von Arbeitsbegriffen ausgespielt. Zusätzlich wird die Religionswissenschaft um das Moment der Dialogkompetenz ergänzt. Somit konstituiert sich aus den drei Komponenten der kritischen Epistemologie, der Arbeit mit vorläufigen Religionsbestimmungen und der dialogischen Kompetenz die triadische Religionswissenschaft. Mithilfe der fruchtbaren Kombination aus Metatheorie, Heuristik und Dialog gelingt es, differenzierte Befunde über die sozialen Realitäten von Religionen in Vergangenheit und Gegenwart hervorzubringen.
Die Kategorie der "religionsanalogen Formationen" beschreibt die funktionalen Parallelen zwischen Religionen und diversen anderen gesellschaftlichen Feldern. Ausgangspunkt für diesen Ansatz ist eine vorläufige Bestimmung von Religion, nach der Religionen verkörperte Praktiken und Diskurse sind. Durch sie werden Beziehungen zwischen Menschen und außerhalb des Menschen stehenden Instanzen kultiviert – etwa Götter, übermenschliche Wesen oder transzendente Ordnungen. Mit diesen Praktiken und Diskursen streben Menschen nach Heil, bewältigen ihr Leben und etablieren Gemeinschaften. Dabei gehen von Religionen auch Risiken und Nebenwirkungen aus, wie zum Beispiel die Imagination von Grenzen, mit denen Menschen ausgeschlossen werden, oder die Einschränkung der Möglichkeiten, die soziale Realität der Welt wahrzunehmen und zu interpretieren.
Vorstellungen, Praktiken und Materialitäten in diversen Bereichen der Populärkultur, des Marketings und Brandings, der romantischen Liebe, der Künstlichen Intelligenz, des Konsums sowie der Identitätspolitik sind gute Beispiele für religionsanaloge Formationen. Sie führen den Grund ihrer Geltung auf überempirische und somit scheinbar unhinterfragbare Quellen zurück, die ihnen die benötigte Legitimation verleiht. Zugleich tragen diese Formationen dazu bei, Gemeinschaften zu konstituieren, Gruppengrenzen zu etablieren und die Perspektiven auf die Welt zu reduzieren. Religionsanaloge Formationen beschreiben gesellschaftliche Phänomene, die in ihrer Wirkweise Religion ähneln, mit den Methoden der Religionswissenschaft erforscht werden können, aber von Akteuren und Akteurinnen nicht notwendigerweise als Religion bezeichnet werden. Religionswissenschaftliche Theorien können dazu beitragen, die religionsähnlichen Kennzeichen und Dynamiken dieser Formationen zu analysieren.
Der Ansatz der "Material Religion" rückt die Materialität von Religionen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und fragt danach, wie sich Religionen "materialisieren". Diese Perspektive nimmt mehr in den Blick als lediglich religiöse Objekte wie Bilder, Statuen, Gebrauchsgegenstände, Kultanlagen und Gebäude oder Amulette und Talismane. Dem Ansatz der Material Religion geht es in einem sehr viel umfassenderen Sinn darum, zu erforschen, wie sich Religion auf materieller Ebene ereignet: Untersucht wird das Wechselspiel mit der materiellen Welt, sei es durch den Umgang mit Objekten, die Interaktion mit Umwelt und Raum oder die Verkörperung von Religionen durch Handlungen oder Rituale. Im Fokus steht Religion als Ereignis, das aus spezifischen sozialen, habituellen und kognitiven Arrangements resultiert, die durch den Körper, den Raum sowie durch das Wechselspiel mit der materiellen Welt vermittelt werden. In den Blick genommen werden dabei besonders Wechselwirkungen zwischen Akteuren und Akteurinnen und religiösen Objekten und der Umwelt.
Medientechnologische Erfindungen prägen seit jeher, wie Religionen vermittelt und praktiziert werden. Von Palmblättern über Bücher, Flugblätter und Fernsehsendungen bis hin zum Internet verändern Medientechnologien religiöse Vorstellungen und Praktiken. Religiöse Vorstellungen, Praktiken und Materialitäten werden nicht bloß mithilfe spezifischer Medientechnologien vermittelt, sondern befinden sich selbst unter dem Einfluss dieser Technologien in einem kontinuierlichen Wandel. Medien stehen also in vielfältiger Form in einem dynamischen Wechselverhältnis mit Religionen. Der Begriff der Medialisierung beschreibt dieses Verhältnis. Er verweist zum einen auf das wechselseitige Verhältnis von Medieneinsatz und gesellschaftlichen Transformationen, zum anderen macht er das schöpferische Potential deutlich, das der Gebrauch von Medientechnologien freisetzt: Sie ermöglichen es einer Vielzahl von Akteuren und Akteurinnen, auf religiöse Narrative, Vorstellungen und Materialitäten zuzugreifen, diese nach Belieben zu interpretieren und zu verändern und mithilfe von Medien wieder in Umlauf zu bringen. Dabei werden immer häufiger religiöse Semantiken mit Narrativen und Designs aus den Feldern der Medizin, Therapie, Popkultur und der Freizeit verschmolzen.
Transkulturalität ist ein Ansatz zum Verständnis von kulturellen Kontakten und Beziehungen. Das Konzept kann sowohl als beschreibende Kategorie für konkrete Fallstudien als auch als heuristisches Werkzeug angewendet werden. Transkulturalität bietet eine kritische Analyse von Kulturen, ohne sie als ethnisch begrenzte, intern zusammenhängende und sprachlich homogene Sphären zu vereinfachen. Stattdessen hebt Transkulturalität die räumliche Mobilität, die Adaption und den Wandel von Menschen sowie die Zirkulation, Transformation und Übersetzung von Diskursen, Praktiken und Materialitäten hervor.
Regionale Traditionen und ihre religionshistorischen Dynamiken
Siehe die Zen-Seite.
In Arbeit.
Mit ihrer großen Vielfalt stellen die japanische Religionsgeschichte und religiöse Gegenwart ein herausforderndes und spannendes Feld für die religionswissenschaftliche Forschung dar. Im Mittelpunkt des Interesses am Institut für Religionswissenschaft in Heidelberg stehen die materielle Kultur des japanischen Buddhismus, die rezente Religionsgeschichte, insbesondere die der sogenannten Neuen Religionen, der gegenwärtige Diskurs über Spiritualität und davon abgeleitete Praktiken, sowie die Transformation des "Zen" in Japan und im sogenannten "Westen".
Die Religionsgeschichte und aktuelle religiöse Landschaft der USA eröffnet eine Fülle von Themen für die Religionsforschung, angefangen mit Untersuchungen über die puritanischen Pilgerväter und die Religionen der indigenen Bevölkerung über spezifisch amerikanische Gruppierungen und Phänomene wie z.B. Megachurches, Evangelismus und QAnon bis hin zur Verbindung von Religion und Politik sowie Religion in/und Populärkultur, Religion in/und Sport und die sogenannte Amerikanische Zivilreligion.
In Arbeit.
Religiöse Transformationen der Gegenwart
Die Rezeption von insbesondere asiatischen bzw. asiatisch inspirierten Kampfsportarten (martial arts) als Praxis einer ganzheitlichen Selbstoptimierung hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in urbanen Mittelschichten in einem globalen Maßstab etabliert. Dabei werden diese Kampfkünste in verschiedenen Kontexten verortet: Von Erziehung bis Wellbeing, über die Disziplinierung von Kindern bis hin zu spiritueller Selbstfindung unter Einbezug buddhistischer und esoterischer Motive. Die trainingswissenschaftliche Vereinheitlichung von Kampfsport und die als pädagogisch wirksam erachtete Erziehung zu Disziplin verknüpfen diese Motive, Praktiken und Vorstellungen mit der Erhöhung von Leistungsbereitschaft durch eine zugeschriebene spirituelle Praxis.
Unter Einfluss der Globalisierung und damit einhergehender Kulturkontakte hat sich das, was häufig essentialisierend als "Buddhismus" verstanden wird, transformiert. Entstanden sind vielseitige Ausgestaltungen, die als "Moderne Buddhismen" bezeichnet werden. Unter diesem Begriff werden sowohl die verschiedenen modernen Formen buddhistischer Traditionen in den asiatischen Ursprungsländern als auch die vielgestaltigen Neuformationen in vornehmlich urbanen Zentren hochindustrialisierter Länder bezeichnet. Kennzeichnend für die Modernen Buddhismen vor allem außerhalb Asiens sind eine angenommene Kompatibilität mit Naturwissenschaft und rationalem Denken, Werten wie Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung sowie der ihnen zugeschriebene Fokus auf Meditation, therapeutisches Potential und Wellbeing. Das Vertrauen in die Kraft des buddhistischen Dharma, das Streben nach diesseitigem und jenseitigem Nutzen und die enge Verbindung zu Staat und Herrschaft, wie sie in den asiatischen Traditionen des Buddhismus eine wichtige Rolle spielen, sind dabei in Vergessenheit geraten und werden zum Teil von modernen Vertretern und Vertreterinnen als magisch oder abergläubisch abgelehnt. Zugleich transformieren Vorstellungen eines entmythologisierten und psychologisierten Buddhismus seine Wahrnehmung und Praxis in den asiatischen Ursprungsländern. Das Forschungsinteresse am Institut für Religionswissenschaft in Heidelberg richtet sich vor allem auf die Popularität, Rezeption und Praxis buddhistisch inspirierter Formationen in Deutschland und Nordeuropa.
Im 19. Jahrhundert kam es im Zuge der wissenschaftlichen Revolution und der Entstehung eines globalen Religionskonzeptes zu einer neuartigen Interaktion zwischen religiösen und psychotherapeutischen Diskursen, die bis in die Gegenwart hinein das globale und lokale sozio-kulturelle Geschehen prägen. Schon seit den Anfängen der uns zugänglichen Religionsgeschichten besteht eine Beziehung zwischen unterschiedlichen religiösen und therapeutischen Konzepten. Jedoch wird erst in der antagonistisch geführten Auseinandersetzung zwischen "Materialismus" und "Metaphysik" im frühen 20. Jahrhundert ein Amalgam aus den widerstreitenden Elementen geschaffen. Dieses Religio-Therapeutische lässt das "Religiöse" im "Therapeutischen" und das "Therapeutische" im "Religiösen" aufscheinen. Im weltweiten Boom von Yoga, Mindfulness oder Zen – um nur einige Manifestationen des Religio-Therapeutischen zu nennen – zeigt sich mithin die Verschmelzung von Religion(en) und Psychotherapie.
Auf Grundlage transkultureller Übersetzungsprozesse werden buddhistische Narrative, Praktiken und Materialitäten in hochindustrialisierten Gesellschaften rezipiert. Körper- und Meditationspraktiken buddhistischer Herkunft werden zur positiven Beeinflussung der Psyche bei Problemen oder Stress angeboten und praktiziert. Als besonders erfolgreich hat sich dabei der Topos der Achtsamkeit erwiesen, der religionsgeschichtlich aus der Theravada-buddhistischen Tradition des Vipassana hervorgegangen ist und seit den 1970er Jahren zunächst in therapeutischen Diskursen der Medizin und Psychologie rezipiert wurde und inzwischen Eingang in eine Vielzahl von Diskursen gefunden hat. Gleichzeitig diskutieren und untersuchen Neurowissenschaften und Psychotherapieforschung die Wirkungen meditativer Praktiken auf die psychische Gesundheit. Am Institut für Religionswissenschaft liegt das besondere Forschungsinteresse auf der Frage nach den Legitimations- und Plausibilisierungsstrategien und auf der Frage nach den Wechselwirkungen von Zuschreibung und Körperpraxis im Feld der Achtsamkeit.
Die Medialisierung der Gesellschaft zieht fundamentale Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft mit sich – auch im Religionsbereich. Unter den Bedingungen der Allgegenwart medialer Beeinflussung liegt das Monopol über religiöse Narrative nicht länger bei religiösen Experten und Expertinnen und Institutionen. Unter diesen Bedingungen können religiöse Narrative, Materialitäten und Praktiken in großem Ausmaß in populärkulturellen Kontexten aufgegriffen, neu gemischt und interpretiert werden. Diese Entwicklung werfen zweierlei Fragen auf: Wie verändert sich das "genuin" religiöse Feld durch den Einfluss der Populärkultur? Inwiefern verwandelt sich das Feld der Populärkultur selbst in Religion oder eine religionsanaloge Formation?
Die religionswissenschaftliche Erforschung von digitalen Spielen, speziell der Darstellung von Religion, religiösen Narrativen und Akteuren und Akteurinnen, Mythologien, Göttern und Göttinnen und übernatürlichen Wesen und Kräften, ob realweltlich oder fiktional, ist ein neues und interdisziplinäres Feld. Videospiele und andere spielerische Medien werden dabei als erzählerische Texte betrachtet, welche bestimmte Bilder und Ideen von Religion und Religionen verbreiten und andere ausgrenzen oder unsichtbar machen.
Der Zugang zu digitalen Spielen findet dabei auf unterschiedlichen Ebenen statt: die der Spielmechanik, der Spielnarrative, der Spielentwickler und Spieleentwicklerinnen und nicht zuletzt der Spielenden selbst. Der Heidelberger Ansatz der religionswissenschaftlichen Game Studies setzt das eigene und systematische Spielen des Forschungsgegenstands voraus und strebt somit eine Einbindung aller Ebenen der Analyse an.
Astrologie versucht auf der Basis von Planeten- und Gestirnkonstellationen Aussagen über Beziehungen, Individuen und Lebenswege zu treffen. Heute werden diese Vorstellungen über soziale Medien und Apps kommuniziert. Aussagen wie "It might by my Libra Rising showing" oder "Such a Virgo thing" verweisen auf spirituelle Vorstellungen und Praktiken, sind aber auch fester Bestandteil des humorvollen Internetvokabulars geworden. Aus religionswissenschaftlicher Perspektive lässt sich untersuchen, wie Astrologie und ihre religiösen und spirituellen Vorstellungen mit Medien, Selbstoptimierung und Neoliberalismus in Verbindung treten.
Das sich wandelnde religiöse Feld, das sich unter dem Label "postmoderne Spiritualität" subsumieren lässt, ist gekennzeichnet von Hybriden, Synkretismen und Innovationen, welche im Mittelpunkt dieses Forschungsschwerpunkts stehen. Klassische, exklusive Formen religiöser Zugehörigkeit werden durch neue soziale Organisationsformen wie die Vermittlung auf dem Markt, die Entstehung religiöser Netzwerke, offene Partizipationsstrukturen, multiple Zugehörigkeiten und kundenorientierte religiöse Angebote ergänzt oder ersetzt. Auf dem Buchmarkt, auf dem Markt der Selbstfindungs- und Selbstoptimierungspraktiken, in den Medien und im Netz werden eine Fülle von Inhalten, Praktiken und Objekten angeboten, die mit religiösen Semantiken durchsetzt sind. Häufig wird dabei von einer Kraft im Inneren des Menschen oder von einer die Gesamtheit des Seins durchdringender Macht gesprochen und aus der Religionsgeschichte bekannte Rituale und Praktiken werden als Techniken verstanden, die in der Lage sind, Zugang zu diesen vorgestellten Instanzen zu gewinnen.
In Arbeit.
Religionsanaloge Formationen
Im 21. Jahrhundert richten sich Hoffnungen auf Unsterblichkeit und Glück mehr und mehr auch auf die technische Evolution des Menschen. Das Internet ermöglicht bereits heute eine Verlängerung der eigenen Existenz über den Tod hinaus – etwa, wenn über Social-Media-Bots die Kommunikation mit Verstorbenen simuliert wird. Digitale Unsterblichkeitsphantasien und die technische Aufrüstung des Körpers werden oft unter dem Begriff des Transhumanismus zusammengefasst, einer Bewegung, die in großem Umfang in Filmen, Serien und digitalen Spielen Nachhall findet. Die Heidelberger Religionswissenschaft untersucht die Aufarbeitung dieser Entwicklung in Medien, begleitet politische und journalistische Debatten und intendiert, kursierende Vorstellungen von Religion dahingehend zu aktualisieren.
Entwicklung und Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI) werden im öffentlichen Diskurs kaum hinterfragt. Für viele Vertreterinnen und Vertreter in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft hängen das Wohlergehen und der Fortschritt von Mensch und Planeten von der KI ab. Dieses der KI zugeschriebene Heilsversprechen macht sie zu einer religionsanalogen Formation. Typischerweise machen Religionen Heilsversprechen, die ihre Dynamik aus metaphysischen, überempirischen Annahmen beziehen, wie zum Beispiel aus Aussagen über Götter, ein Leben nach dem Tod oder eine Wiedergeburt. Die Analyse der Parallelen von KI und Religionen ermöglicht Befunde über die typische Rhetorik, die Dynamik und die Nebenwirkungen der Diskurse, Praktiken und Materialiäten im Kontext der KI.
Daneben eröffnet das Feld der KI und Religion Betrachtungen über ihren Einsatz im religiösen Kontext, zum Beispiel als Priesterroboter oder Prayer Bots, in Achtsamkeitsapps oder virtuellen Realitäten, die ein angenommenes Transzendentes erfahrbar machen. Religions- und kulturwissenschaftliche Ansätze erschließen die beiden Komplexe der "KI als Religion" und "KI und Religionen".
Der Forschungsansatz der Religionsökonomie betrachtet Religionen im Kontext des Markts: Wie werden religiöse Gruppen und Institutionen finanziert? Wie werden zahlende Nutzer und Nutzerinnen für Religionen gewonnen und an diese gebunden? Religionsökonomische Forschungen liefern eine Fülle von wegweisenden Befunden über die Kosten von Religion und die Wettbewerbssituation von Religionen auf dem Markt. Dem Ansatz liegt allerdings die Annahme zugrunde, dass sich religiöse und säkulare Angebote voneinander unterscheiden lassen.
Dem gegenüber untersuchen dem Label "Religion und Marketing/Branding" verpflichtete Ansätze, inwiefern die Narrative, Praktiken und Ästhetiken der Werbung als Teil einer medialisierten und allgegenwärtigen Popkultur selbst religionsanaloge Züge annehmen, welche Rolle als religiös empfundene Semantiken in der Werbung spielen und auf welche Weise sich dabei die als religiös und als säkular verstandenen Felder transformieren.
Seien es die Illuminaten, die Flat-Earth-Bewegung oder in neuerer Zeit QAnon: Sehr häufig lässt sich bei Verschwörungserzählungen eine Verwandtschaft zu religiösen Gesellschafts- und Weltbildern feststellen. Hierbei handelt es sich um eine strikte Schwarz-Weiß-Sicht der Welt, die Annahme einer nur von "eingeweihten" Personen erkennbaren Weltordnung oder etwa um ein gemeinschaftsstiftendes Potential der gemeinsamen Vorstellungen. Religionswissenschaft erforscht die religionsanalogen Kennzeichen von Verschwörungsnarrativen und trägt so zu einem umfassenden Bild ihrer Ursachen, Popularität und Dynamik bei.
Religion und Gesellschaft
Gender- und Queerstudies spielen in der Religionswissenschaft in zweierlei Hinsicht eine Rolle: Einerseits können Erkenntnisse der Gender- und Queerstudies dazu genutzt werden, nicht-männliche soziale Realitäten, die in der historischen Religionsforschung meist vernachlässigt wurden, sichtbar zu machen. Andererseits ist es möglich, religionswissenschaftliche Analysekompetenzen zu nutzen, um aktuelle Dynamiken in der Debatte um LGBTQI+ kritisch zu analysieren.
Politische Identitäten von "alt right" bis "woke" können analog zu Debatten um Religion verstanden werden und dementsprechend mit einem religions- und kulturwissenschaftlichen Fragenkatalog examiniert werden: Welche scheinbar unhinterfragbaren Werte und Annahmen konstituieren politische Identität? Wer spricht mit welcher Intention? Welche zugrundeliegenden Institutionen und Machtstrukturen verleihen Aussagen Gewicht? Welche Emotionen und Ästhetiken lenken die politische Debatte, insbesondere im Internet und den (sozialen) Medien? Eine religions- bzw. kulturwissenschaftliche Ausbildung versetzt in die Lage, den Überblick über sich rasant entwickelnde gesellschaftliche Debatten zu behalten.