Triadische Religionswissenschaft

Religiöse Lehren thematisieren angenommene Götter, Göttinnen und andere außerhalb des Menschen stehende Instanzen. In religiösen Innenperspektiven werden aus diesen Annahmen Vorstellungen über die Welt, den Menschen, den Sinn des Lebens und vieles mehr abgeleitet. Pragmatisch arbeitende Religionswissenschaftler und Religionswissenschaftlerinnen grenzen die von ihnen verwendeten Begriffe und Reflexionen ausdrücklich von diesen religiösen Selbstthematisierungen ab. Sie entwickeln heuristische metasprachliche Begriffe, die Religionen aus der Außenperspektive beschreiben.1

So werden Kategorien zur Beschreibung von Konzepten, Praktiken und Materialitäten entworfen, die in der sozialen Realität von religiösen Akteuren und Akteurinnen eine große Rolle spielen. Gute Beispiele hierfür sind die Heilsvorstellungen und -versprechen von Religionen, ihre Konzepte von vorgestellten jenseitigen Welten, Instanzen oder Ordnungen, Angebote zum Erhalt von diesseitigem und jenseitigem Nutzen oder Rituale und Statuen. Mit Hilfe dieser Kategorien beschreibt die Religionswissenschaft die soziale Realität religiöser Akteure und Akteurinnen in Vergangenheit und Gegenwart.

Die Erforschung religiöser Vorstellungen, Praktiken und Materialitäten unterschiedlichster Epochen und Regionen bringt dabei stets neue Befunde hervor, die es erforderlich machen, bisherige Kategorien zu überdenken, anzupassen oder neu zu entwerfen. Religionswissenschaftliches Arbeiten bewegt sich also stetig zwischen der heuristischen Bestimmung von Begriffen sowie deren kritischer Reflexion und Neujustierung hin und her. Die vorläufige Bestimmung von Begriffen orientiert sich an den jeweiligen Gegebenheiten, also dem aktuellen Stand und Kontext der Forschung und hat zugleich deren beständigen Wandel im Auge. Sie zeichnet sich durch ihren Mut zu punktuellen Konkretisierungen aus. Charakteristisch ist die Bereitschaft zum Wagnis bei gleichzeitigem Bekenntnis zur Vagheit, können doch die Begriffe nicht längerfristig festgeschrieben werden. Deshalb kann diese Vorgehensweise – sowohl im alltagssprachlichen als auch erkenntnistheoretischen Sinn – als pragmatisch charakterisiert werden.

In den letzten Dekaden haben die Theorien der Postmoderne und daran anknüpfende identitätspolitische Debatten die Herangehensweise der pragmatisch orientierten Religionswissenschaft in Frage gestellt. Nach postmodernen und identitätspolitisch ausgerichteten Maximen drücken sich in den von der Religionswissenschaft verwendeten Kategorien Ansprüche an Macht und Herrschaft aus. Diese Maximen wurden vor allem von postkolonialen Ansätzen entwickelt. Kategorien werden demnach angesehen als in Sprache geronnene Mittel, mit denen Vormachtstellungen geschaffen und untermauert werden. Gute Beispiele hierfür sind der Begriff der Religion selbst, die Kategorie des Rituals und das Konzept der Materialität. Postmoderne und identitätspolitische Positionen postulieren, dass sich in diesen und anderen religionswissenschaftlichen Begriffen eine vermeintliche Überlegenheit westlicher Rationalität ausdrückt. Die durch postmodernes und identitätspolitisches Denken beeinflusste Religionswissenschaft verzichtet in der Folge darauf, den Begriff der Religion und weitere Begriffe der Religionswissenschaft inhaltlich näher zu bestimmen. Ja, sie geht noch weiter: Es wird gefordert, den Begriff der Religion unbestimmt zu lassen oder sogar vollständig auf ihn zu verzichten.

Die pragmatische Religionswissenschaft geht davon aus, dass unsere Kategorien abgeleitet sind von der uns umgebenden Welt und ihren sozialen Realitäten. Folglich traut sie uns zu, die soziale Realität mit Hilfe dieser Kategorien erfassen können. Da sich die sozialen Realitäten und unsere Befunde stetig ändern, gilt es auch die Kategorien kontinuierlich zu überprüfen und anzupassen.

Im Kontrast dazu postulieren postmoderne Ansätze, dass es nicht die uns umgebenden sozialen Realitäten sind, die unsere Kategorien formen, sondern dass diese Kategorien als Produkte der Dynamiken von Macht und Herrschaft entstehen. So sei es anhand der Kategorien nicht möglich, uns ein adäquates Bild sozialer Realitäten zu vermitteln. Zwar wird nicht bestritten, dass es soziale Realitäten gibt, doch sei unsere Sicht auf sie stets getrübt durch den Schleier der Dynamiken von Macht und Herrschaft, geronnen in unseren Kategorien. Folglich zielen postmoderne Ansätze darauf ab, die entsprechenden Kategorien zu dekonstruieren. Das heißt einerseits, die in ihnen enthaltenen Machtdynamiken offenzulegen und andererseits auf ihren Gebrauch zu verzichten.

Mit pragmatisch und dekonstruierend orientierter Religionswissenschaft stehen sich also zwei Positionen gegenüber: Entweder – aus pragmatischer Sicht – formt die Wirklichkeit die Sprache und damit unsere Kategorien. Oder – aus dekonstruierender Sicht – ist es die Sprache, die soziale Realität erst konstruiert. Deshalb sei sie nicht geeignet, uns Aufschlüsse über soziale Realitäten zu vermitteln. Als Folge dieser Einsicht erhalten Ansätze, die auf Queering und Disruption setzen, auch in der Religionswissenschaft Zulauf.

Eine Lösung für diese Frontstellung bietet die TRIADISCHE Religionswissenschaft. Sie setzt sich zunächst als Ziel, beide Verfahren abwechselnd anzuwenden. Die konsequente diskurstheoretische Dekonstruktion, wie sie von postmodernen Ansätzen gefordert wird, wird damit nicht gegen die pragmatische Formulierung von Arbeitsbegriffen ausgespielt. Zusätzlich wird die Religionswissenschaft um das Moment der Dialogkompetenz ergänzt. Somit konstituiert sich aus den drei Komponenten der kritischen Epistemologie, der Arbeit mit vorläufigen Religionsbestimmungen und der dialogischen Kompetenz die triadische Religionswissenschaft. Mithilfe der fruchtbaren Kombination aus Metatheorie, Heuristik und Dialog gelingt es, differenzierte Befunde über die sozialen Realitäten von Religionen in Vergangenheit und Gegenwart hervorzubringen.

1 Wie im Folgenden ausgeführt wird, sind in den letzten Jahrzehnten darüber hinaus alternative religionswissenschaftliche Herangehensweisen entstanden.



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Letzte Änderung: 27.04.2023