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Religionswissenschaft im Aufwind. Eine Profilbestimmung angesichts steigender gesellschaftlicher Relevanz

In den letzten Jahrzehnten ist die Religionswissenschaft von einem marginalisierten Orchideenfach im Schnittfeld von Theologie und Kulturwissenschaft zu einer sowohl in der Öffentlichkeit wie auch bei Studierenden immer stärker nachgefragten kulturwissenschaftlichen Disziplin avanciert. Zwar hat die personelle und finanzielle Ausstattung religionswissenschaftlicher Institute und Seminare an den Universitäten mit dieser Entwicklung in den meisten Fällen nicht Schritt halten können; die daraus resultierenden erschwerten Arbeitsbedingungen ändern aber nichts an der Tatsache, dass Absolventinnen und Absolventen der Religionswissenschaft zunehmend auch in gesellschaftliche Schlüsselpositionen und Multiplikatorenrollen gelangen und so als Katalysatoren kulturwissenschaftlicher Religionsforschung fungieren. Der überkonfessionelle, nicht an religiöse oder ideologische Perspektiven und Intentionen gebundene Charakter der Religionswissenschaft wird in der Öffentlichkeit immer stärker wahrgenommen, so dass die von der Religionswissenschaft vertretene empirisch-kulturwissenschaftliche Form der Religionsforschung auch zunehmend nachgefragt ist und Wertschätzung erhält.

Religionswissenschaft ist also ganz real "im Aufwind". Natürlich soll diese aus der Thermik gewonnene Metaphorik keinen unbegrenzten Höhenflug der Disziplin suggerieren, für den es angesichts der vielfach anzutreffenden Unterausstattung des Fachs an den Universitäten weder eine gefühlte noch eine tatsächliche Grundlage gibt. Vielmehr soll die "Aufwind"-Metapher eine vorsichtig optimistische Diagnostik der gegenwärtigen Situation der Religionswissenschaft im deutschsprachigen Raum anzeigen: Angesichts des deutlich gestiegenen öffentlichen Interesses an der Religionswissenschaft und des vom Wissenschaftsrat so nachhaltig unterstützten Anspruchs auf eine angemessene Personal- und Finanzausstattung in den universitären Einrichtungen gibt die "Thermik" dieses Aufwärtstrends berechtigten Anlass zur Hoffnung, kurz- oder mittelfristig die Stellung der Religionswissenschaft im öffentlichen Diskurs und an den Universitäten im deutschsprachigen Raum nachhaltig verbessern zu können.

Zugleich impliziert die Metaphorik allerdings auch die Risiken wechselhafter Wetterkonstellationen: Ein "Aufwind" ist immer ein zeitlich befristetes Phänomen. Wenn man es versäumt, seine positiven Wirkungen zu nutzen, kann es unter Umständen erhebliche Mühen verursachen, sich in der Wartezeit bis zur nächsten thermischen Unterstützung ohne Höhenverluste in der Luft zu halten.

An dieser Stelle setzt die DVRW-Tagung "Religionswissenschaft im Aufwind. Eine Profilbestimmung angesichts steigender gesellschaftlicher Relevanz" programmatisch mit einem dezent optimistischen Appell an die deutschsprachige Religionswissenschaft ein, den derzeitigen öffentlichen und politischen "Aufwind" pragmatisch umzusetzen. Einen ersten Schritt dazu soll eine neuerliche Verortung innerhalb der Arbeitsfelder, Theorien und Methoden bilden, die für die aktuelle Forschungspraxis an den jeweiligen Standorten charakteristisch sind. In einem zweiten Schritt sollen die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme in Form einer Online-Publikation der Tagungsakten einer breiteren interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Ziel der Tagung ist es somit, durch eine Stärkung des innerdisziplinären Reflexionsprozesses intern eine neuerliche kulturwissenschaftliche Selbstvergewisserung zu erreichen und dieses Profil über die Publikation in einem Open-Access-Medium in die akademische, aber auch in eine allgemeine, an Religionsforschung interessierte Öffentlichkeit zu tragen. Auf diese Weise sollen - um in der Metaphorik zu bleiben - die Techniken der effektiven Nutzung von "Aufwinden" verbessert werden und soll nach Möglichkeit sogar der "Aufwind" für die Religionswissenschaft selbst noch verstärkt werden.