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Smartphones als Merkmal einer posthumanen Existenzform?


veröffentlicht am 12.05.2022

Paul Glen Fischer hat seine Masterarbeit über Aspekte des Technologischen Posthumanismus als Begriff und Bewegung geschrieben. Ihn beschäftigte vor allem, wie verschiedene Personen und Institutionen ideologisch und sprachlich auf die Digitalisierung und die mit ihr verbundenen Optionen, Chancen und Risiken reagieren.


Wenige Abschnitte der technischen Evolution haben so tief in das Alltagsleben eingeschnitten wie die Digitalisierung und die Ausbreitung mobiler Endgeräte. Sie seien "ein solch beherrschender und ver-einnahmender Teil des täglichen Lebens, dass der sprichwörtliche Besucher vom Mars sie für ein wichtiges Merkmal der menschlichen Anatomie halten könnte", schrieb John Roberts, Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (Richter 2014). Der Religionswissenschaftler Oli-ver Krüger hält fest, es stehe "außer Frage, dass Medienerfahrungen ein grundlegender Bestandteil unseres sozialen Alltags geworden sind. Die Erfahrung unseres sozialen Gegenübers sei "zudem zu-nehmend geprägt von seiner virtuellen Reproduktion […]" (Krüger 2019: 17). Insgesamt ist die Be-deutung von Smartphones für die Identität und Lebensgestaltung von Abermillionen Menschen kaum zu überschätzen. Ein Mensch, der nicht via Endgerät digital vernetzt und mehr oder weniger perma-nent damit befasst ist, seine virtuelle Reproduktion zu schaffen, mag leicht das Gefühl bekommen, unvollständig oder benachteiligt zu sein. Smartphones stellen ein Mittel der Selbsttranszendierung des Menschen dar, indem sie sein Leben und Sein über den physischen Körper hinaus verlängern: Sie ermöglichen Rollenwechsel und die Verschleierung der eigenen Identität im digitalen Raum, vor allem aber sammeln sie Unmengen an Daten, die sich zu einem Abbild der erstellenden Person verdichten. Auf diese Weise entwickeln sich nach dem Ethiker Georg Rainer Hofmann Endgeräte zu "normativen Maschinen" (Hofmann 2020: 170). Er führt aus:

    [Sie ersetzen] den direkten sozialen Kontakt und bestimmen die Art, wie wir einkaufen oder konversieren. Dienstleistungen und Kontakte werden nicht mehr von Menschen für – und mit – Menschen, sondern von entsprechenden Maschinen erbracht. Das hat massive Auswirkungen auf das, was wir unter "gesellschaftlichem Umgang" verstehen. […] Diese neue Position der normativ wirksamen Automaten verlangt nach einer anthropozentrischen Ergänzung.

    (Hofmann 2020: 170-171)

Digitale Ethik hat nach Hofmann also die Aufgabe, wieder den Menschen ins Zentrum der Welt zu rücken, sie in ein Stadium zu führen, in dem die Technik nur noch "sinnhaft" (Hofmann 2020: 171) wirken kann. Das heißt: nicht ohne einen klaren menschenbezogenen Nutzwert. In der Gegenwart ist dies fragwürdig, denn das Internet, das in Form von Smartphones in den individuellen Alltag hinein-reicht, hat sich zur taktgebenden Instanz entwickelt. Sie dirigiert in vielerlei Hinsicht eher den Men-schen, als von ihm dirigiert zu werden. "Dass dem Menschen nun Konkurrenz erwächst, weil auch technische Systeme 'intelligent' und zu kognitiven Leistungen imstande sind, den Menschen also ‚outperformen‘, ist eine tiefe Kränkung, […]" (Amos 2018: 220), schreibt die Erziehungswissen-schaftlerin Karin Amos. In einer Welt, in der technische Geräte zu einer alltäglichen Ergänzung des physischen Körpers geworden sind, deren Fehlen "einen seltsamen Phantomschmerz" (O'Connell 2017: 181) hervorruft, wie es der Romanautor Mark O'Connell ausdrückt, und in der das Internet den Menschen besser kennt als er sich selbst, stehen die Kategorien von Selbst, Individualität und Vernunft zur Disposition.

Verwendete Literatur:

Amos, Karin S. 2018. "Transhumanismus und (vergleichende) Erziehungswissenschaft". In Über-schreitungslogiken und die Grenzen des Humanen. (Neuro-)Enhancement - Kybernetik - Transhumanismus, Hg. Sabrina Schenk, Martin Karcher, 217—242. Berlin: epubli.

Hofmann, Georg Rainer. 2020. "Digitale Ethik". In Digitale Heimat. Verortung und Perspektiven, Hg. Wolfram P. Brandes, 161—180. Wiesbaden: Marix Verlag.

Krüger, Oliver. 2019. Virtualität und Unsterblichkeit. Gott, Evolution und die Singularität im Post- und Transhumanismus. Freiburg i. B.: Herder.

O'Connell, Mark. 2017. Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen. München: Carl Hanser Verlag.

Richter, Nicolas. 2014. "Fast schon ein Körperteil". In Süddeutsche Zeitung, 26.06.2014. https://www.sueddeutsche.de/digital/us-urteil-zu-smartphones-fast-schon-ein-koerperteil-1.2018007 (zuletzt abgerufen am 14.01.2022).



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Letzte Änderung: 12.05.2022