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Märkte und Medien im Protestantismus


veröffentlicht am 18.10.2021

Tobias Pusch, M.A. studierte Religionswissenschaft und Soziologie an der Universität Heidelberg. In seiner Dissertation befasst er sich mit der ästhetischen Praxis von Evangelisationsveranstaltungen in Deutschland.


Ausgehend von Martin Luthers Kritik am katholischen Ablasshandel zeichnen sich protestantische Theologien häufig durch ein angespanntes Verhältnis gegenüber religiösem Güterhandel aus. Daraus folgt aber nicht, dass im Protestantismus kein Handel mit religiös konnotierten Produkten stattfindet. So offenbart ein Blick auf die Büchertische evangelistischer Großveranstaltungen ein umfangreiches Angebot an christlichen Konsumartikeln unterschiedlichster Art, das von Bibeln und Geschenkartikeln bis hin zu religiös konnotierter Populärkultur in Form von Büchern, Musik oder Filmen reichen kann.

Für gewöhnlich wird diese Form des Handels durch ihre Rahmung als evangelistische Praxis legitimiert. Aus Sicht protestantischer Akteur*innen verfolgt der Handel mit religiös konnotierten Gütern demnach vornehmlich das missionarische Ziel, die Verbreitung des Evangeliums zu fördern. Dies gilt insbesondere für den Handel mit religiösen Medien, wie beispielsweise Bibeln, christlichen Traktaten oder religiös konnotierter Populärkultur. Derart missionarisch begründeter Handel mit religiösen Konsumartikeln bildet seit Mitte des 18. Jahrhunderts einen integralen Bestandteil protestantischer Erweckungsbewegungen in den USA und Großbritannien (vgl. Lambert 1999; Hendershot 2004). Auch im deutschsprachigen Raum entstanden ab dem 19. Jahrhundert umfangreiche Märkte für protestantische Populärkultur in Form von Erbauungsliteratur (Nowak 1995: 104-107).

Im weiteren Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelten sich diese Märkte aufgrund der unterschiedlichen Situation protestantischer Kirchen in Deutschland und den USA in verschiedene Richtungen. Besonders deutlich zeigt sich dies auf dem Markt für christliche Populärmusik. Da sich protestantische Kirchen in den USA aufgrund einer formaljuristisch strikten Trennung zwischen Staat und Religion einem starken Konkurrenzdruck um zahlungsbereite Mitglieder ausgesetzt sehen, setzen diese Kirchen bereits seit dem 19. Jahrhundert auf den Einbezug zeitgenössischer Musikformate in ihre Gottesdienste, um dadurch Vorteile bei der Anwerbung neuer Mitglieder zu erhalten. Im Gegensatz dazu mussten sich die deutschen Landeskirchen bis Ende der 1960er Jahre aufgrund ihrer Nähe zu staatlichen Institutionen nur wenig Sorgen um ihre Finanzierung oder das Anwerben neuer Mitglieder machen. Während viele amerikanische Kirchen also erhebliche Geldsummen in den Ausbau ihres Musikangebotes investierten, war die christliche Musikszene in Deutschland lange Zeit nur wenig professionalisiert (vgl. Depta 2013: 485-543). Infolgedessen bildete sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im amerikanischen Raum ein hochprofessionalisierter christlicher Musikmarkt aus, der aufgrund seines kommerziellen Erfolges bald auch für säkulare Musikverlage interessant wurde (vgl. Harju 2014; Romanowski 1992). Die kommerziell nur selten erfolgreichen christlichen Musikverlage in Deutschland waren demgegenüber bis zur Jahrtausendwende darauf angewiesen, "als Vertriebspartner vornehmlich US-amerikanischer und britischer Firmen zu fungieren" (Depta 2013: 544).

In den letzten zwanzig Jahren hat sich diese Situation in Deutschland durch zwei parallel stattfindende Entwicklungen verändert: Erstens kam es vermehrt zu Zusammenschlüssen etablierter christlicher Verlagshäuser, wodurch diese ihre Ressourcen und Angebote bündeln konnten. Einen der bedeutsamsten Zusammenschlüsse stellt die im Juni 2000 auf Initiative des christlichen Milliardärs Friedhelm Loh vollzogene Gründung der Stiftung Christliche Medien (SCM) dar (Depta 2013: 562).

Zweitens ist es, durch die Verbreitung des Internets, für christliche Kleinhändler*innen deutlich einfacher geworden Zugang zu protestantischen Märkten zu finden. Wer einen christlichen Versandhandel eröffnen möchte, braucht dafür lediglich eine ansprechend gestaltete Website, technische Grundkenntnisse, sowie ausreichend Zeit und Startkapital. Die größte Schwierigkeit für Kleinhändler*innen besteht vielmehr darin, in der Informationsfülle des Internets wahrgenommen zu werden.

Unabhängig davon, ob sie durch Großverlage oder Kleinhändler*innen angeboten werden, können religiös konnotierte Konsumprodukte wichtige materielle Bestandteile protestantischer Alltagspraxis darstellen. Wie leicht protestantische Akteur*innen Zugang zu diesen Gütern finden, hängt maßgeblich von der Struktur der Märkte ab, auf denen diese angeboten werden. Bei der religionswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von populärkulturellen Medien und religiöser Praxis kann es sich daher lohnen, die Märkte, auf denen diese Medien gehandelt werden, mit einzubeziehen.

Verwendete Literatur:

Depta, Klaus (2013): Rock- und Popmusik als Chance. Impulse für die praktische Theologie. Dissertation. Vechta. Institut für Katholische Theologie.

Harju, Bärbel (2014): Rock & Religion. Bielefeld: transcript.

Hendershot, Heather (2004): Shaking the World for Jesus. Media and Conservative Evangelical Culture. Chicago: University of Chicago Press.

Lambert, Frank (1999): "Pedlar in Divinity. George Whitefield and the Great Awakening, 1737-1745." In: The Journal of American History 77 (3), S. 812-837.

Nowak, Kurt (1995): Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. München: Beck.

Romanowski, William D. (1992): "Roll Over Beethoven, Tell Martin Luther the News. American Evangelicals and Rock Music." In: Journal of American Culture 15 (3), 79-88.


Weiterführende Literatur:

Koch, Anne (2014): Religionsökonomie. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.

Stolz, Jörg (2013): "Entwurf einer Theorie religiös-säkularer Konkurrenz." In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 65 (S1), S. 25-49.



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Letzte Änderung: 18.10.2021