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Buddhismus – eine ideale Religion für Transhumanist*innen?


veröffentlicht am 09.01.2023

Paul Glen Fischer ist Doktorand am Heidelberger Institut für Religionswissenschaft. Sein Dissertationsprojekt trägt den Arbeitstitel "Körperkonzepte und Religion bei gegenwärtigen Transhumanisten".


"Hat deine Religion einen Gott?", fragte Bill Gates den Unternehmer und Futuristen Ray Kurzweil. "Noch nicht", antwortete dieser, "aber den wird es geben." Er fährt fort:

    Wenn wir die gesamte Materie und Energie des Weltalls mit unserer Intelligenz gesättigt haben, wird das Universum 'erwachen', bewusst werden – und über fantastische Intelligenz verfügen. Das kommt, denke ich, Gott schon ziemlich nahe.

    (Kurzweil 2014: 377)

Wovon Kurzweil sprach, verhandeln transhumanistische Vertreter*innen unter dem Begriff der Technologischen Singularität. Wenn es das Ziel des Transhumanismus ist, die dem Menschen durch Alter, Krankheit und Tod gesetzten Grenzen zu erweitern, zu überwinden – dann bildet diese Singularität das nicht immer exakt beschreibbare Maximum, das ultimative Ziel ihrer Bemühungen: Den Zustand, in dem die technische Evolution alles erreicht haben wird, das nur möglich ist. "Das ist das alte buddhistische und mystische Heilsversprechen in anderer Form. Eins mit dem All" (Wicht 2016) befindet der deutsche Biologe Helmut Wicht. Entsprechend sieht auch James Hughes, ehemaliger Geschäftsführer der damaligen World Transhumanist Association (heute humanity+), im Kern des Transhumanismus "a universal human desire to transcend the limitations of human life" (Hughes 2007: 28). Er möchte Parallelen zwischen buddhistischen Vorstellungen eines künftigen glücklichen Weltzeitalters, das mit dem Erscheinen eines neuen Buddha anbricht, und transhumanistischen Visionen erkannt haben:

    The risk of absorption into psychic dead – ends on the road to superintelligence. Radical longevity. A utopian world with eco-friendly wish-fulfilling technology. […] While secular transhumanists are uninterested in prophecy, those who believe in or are inspired by these ancient myths and stories may find their parallels and correspondences to the transhumanist worldview exciting, validating a creative trans-spiritual eschatology.

    (Hughes 2007: 28)

Hughes, selbst ehemaliger buddhistischer Mönch, versteht den Buddhismus als religiöse Tradition, die sich ohne Probleme mit einem der Evolutionstheorie verpflichteten Weltbild und dem Streben nach Nachhaltigkeit vereinbaren lässt. "Buddhism rejects the idea of a created or designed universe, and all beings are subject to the natural laws of cause and effect, impermanence and insubstantiality" (Hughes 2007: 26). Der Buddhismus zeichnet sich nach Hughes also vor allem dadurch aus, dass er sich auf die natürlichen Gegebenheiten – beziehungsweise das Ausbrechen aus diesen – fokussiert und die Idee eines allmächtigen Schöpfers nicht benötigt. Diese Punkte scheinen ihn für viele Transhumanist*innen anschlussfähig zu machen. Auch der deutsche Religionswissenschaftler Michael Blume notiert, es erscheine "gerade auch vielen gebildeten, individualisierten Menschen das Versprechen persönlich überprüfbarer Einsichten statt eines beobachtend-richtenden Gottes als sehr viel attraktiver. Essentialistische Religionsdefinitionen, die beispielsweise Religion über den Glauben an Götter bestimmen wollen, treffen so stets schnell auf den Einwand, dass doch der Buddhismus eine 'Religion ohne Gott' sei" (Blume 2012).

Blume verweist auf die Evolutionsforschung zu Religionen, in der – in Varianten – davon ausgegangen werde, dass Religion um "als anwesend und ggf. ansprechbar geglaubte Wesenheiten, die sich beispielsweise in Sternen, Leichnamen, heiligen Stätten, Statuen oder auch dem gesamten Weltall manifestieren können" (Blume 2012) strukturiert sei. Aus dieser evolutionären Perspektive folgert Blume, sei es "durchaus denk-, ja geradezu erwartbar, dass auch spirituelle und philosophische Systeme aufkommen, die zunächst völlig ohne überempirische Akteure auskommen. Zu erwarten wäre dann jedoch, dass solche Systeme bald überempirische Akteure aufnehmen und so zu überlebensfähigen Religionen 'werden'. Und genau dies trifft auf den Buddhismus zu" (Blume 2012). Denn im Laufe seiner Geschichte habe der Buddhismus die "Verehrung und auch Bändigung zahlloser überempirischer Akteure" aufgenommen und entfaltet – damit sei er in der Realität "nicht atheistisch, sondern quasi-theistisch" (Blume 2012). Mit Blume ließe sich fragen, ob der Transhumanismus ein Entwicklungsstadium einer neuen religiösen Tradition repräsentiert, die bereits wieder versucht, sich mit überempirischen Akteur*innen auszustatten und sie kontrollierbar zu machen. Einen dezidierten Glauben an Gott braucht es dafür aber nicht.

Verwendete Literatur:

BLUME, Michael. 2012. Der Buddhismus als Glücksfall für die Evolutionsforschung zur Religion. SciLogs: https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/der-buddhismus-als-gl-cksfall-f-r-die-evolutionsforschung-zur-religion/ (zuletzt abgerufen am 04.08.2022).

HUGHES, James. 2007. The Compatibility of Religious and Transhumanist Views of Metaphysics, Suffering, Virtue and Transcendence in an Enhanced Future. Journal of Ethics and Emerging Technologies 17.

KURZWEIL, Ray. 2014. Menschheit 2.0: Die Singularität naht. Berlin: Lola Books.

WICHT, Helmut. 2016. Der Transhumanismus und das Principium individuationis. SciLogs: https://scilogs.spektrum.de/anatomisches-allerlei/der-transhumanismus-und-das-principium-individuationis/ (zuletzt abgerufen am 04.08.2022).



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Letzte Änderung: 09.01.2023