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KI, Kunst und Kreativität


veröffentlicht am 24.07.2023

Anne-Viktoria Borsch, M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Religionswissenschaft, Heidelberg. Ihre Promotion beschäftigt sich mit evangelikalen Sichtweisen auf aktuelle Verschwörungsnarrative.


Zum Jahresende von 2022 kochte in den sozialen Medien und digitalen Foren erneut ein Diskurs über die Nutzen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz hoch. Der Fokus dieses Mal: KI die 'Kunst' schaffen soll.

Algorithmus-basierte Systeme, die durch data mining auf Abermilliarden von Bildquellen zugreifen, sind seit kurzer Zeit auch für nicht-professionelle Internetnutzer*innen frei zugänglich, oftmals sogar kostenlos. Die Texteingabe der Nutzer*innen lässt die KI-Systeme die vielen Bildquellen durchforsten und sinnvoll so kombinieren, dass ein neues, ästhetisch ansprechendes Bild zum gewünschten Thema generiert wird. Der Zeitaufwand des 'Kunstschaffens': wenige Sekunden (Shaffi 2023).

Die erste und lauteste Kritik an den deep learning Systemen und deren 'Kunst' kam auf, als sichtbar wurde, dass die Algorithmen auch urheberrechtlich gesichertes Material ohne Wissen oder Zustimmung der Rechteinhaber*innen verwendeten. Damit verbunden war auch die Kritik, dass es den Nutzer*innen möglich war, die Namen von aktiven Künstler*innen in das Programm einzugeben, um sich 'Kunstwerke' in deren persönlichen Arbeitsstil schaffen zu lassen, ohne, dass die Künstler*innen darüber informiert oder finanziell kompensiert wurden. Einige größere Rechteinhaber, darunter Getty Images, haben daher bereits gegen die größten Firmen für KI-Kunst – Midjourney Inc., DeviantArt Inc. und Stability AI – geklagt (Shaffi 2023, Vincent 2023).

Parallel dazu gibt es eine zweite, fundamentalere Form der Kritik an den KI-Kunstwerken. Sie hinterfragt, ob KI als nicht-menschliches Algorithmussystem überhaupt künstlerisch tätig sein kann. Die zentrale Frage ist hier: Was ist Kunst und (warum) ist Kunst unauflösbar an die menschliche Existenz gebunden? Die Diskussion hat mehrheitlich keinen Anspruch auf eine wissenschaftlich eindeutige Klärung der Frage, es handelt sich vielmehr um eine ethisch-moralische Positionierung des Konzepts von 'Mensch-sein' im Verhältnis zu Maschinen, Künstlicher Intelligenz und neuen Technologien.

Die Annahme, dass der Mensch als Lebewesen aufgrund einer – wie auch immer gearteten – essentiellen Besonderheit von allen anderen Lebewesen zu unterscheiden sei, findet sich in beinahe allen religiösen Welterklärungsmodellen und wird ebenso von Menschen vertreten, die weiter keinen direkten Bezug zu religiösen oder spirituellen Vorstellungen haben. Ob sie religiös als 'Seele' verstanden oder weniger eindeutig als irgendein besonderes internes Element des Menschen interpretiert wird, betrifft die Vorstellung einer essentiellen menschlichen Eigenheit meistens geistige und schaffende Fähigkeiten, also die menschliche Kreativität. Kreativität – die Fähigkeit aus Inspirationen und den eigenen Emotionen etwas ganz Neues selbstständig erschaffen zu können – wird mit diesem Verständnis nicht nur zu einem grundlegenden Teil menschlicher Existenz, sondern auch zu einem Alleinstellungsmerkmal des Menschen (Cheng 2022, 2f, 4f; Johnston 2020, 185f, 191; Xiang 2022).

Das 'Eindringen' der künstlichen (vorgeblichen) Intelligenz in diesen als geschützt wahrgenommenen Raum wird so als bedrohlicher Teil einer angeblichen Gefährdung des Menschen durch neue Technologien interpretiert. KI-Kunst wird nicht als Kunst, sondern 'nur' als Illustration zugelassen, der menschgemachten Kunst wird eine intuitiv erkennbare Besonderheit zugeschrieben, die sie besser mache. Die ganze Diskussion verläuft vor allem auf einer emotionalen Ebene, faktisch waren verschiedene KI-gemachte Werke aus Kunst und Musik bereits in der Vergangenheit durch das Publikum nicht von menschgemachter Kunst unterscheidbar (Cheng 2022, 1f, 3). Was als menschgemacht und was als Algorithmus-generiert zu sehen ist, wird vom KI-kritischen Publikum stattdessen oft an bestimmten – angeblich 'kalt' und 'unmenschlich' wirkenden – Ästhetiken festgemacht, unabhängig von der tatsächlichen Urheberschaft. In einer Künstlergemeinschaft im Onlineforum Reddit wurde beispielsweise ein*e Künstler*in ausgeschlossen, da deren persönlicher Kunststil nicht menschlich genug aussehe (Chen 2023). Was das 'Menschliche' in der Kunst explizit sein soll, bleibt dabei – wie im Diskurs allgemein – unausgesprochen oder unklar.

Verwendete Literatur:

Chen, Min. 2023. "In an Ironic Twist, an Illustrator Was Banned From a Reddit Forum for Posting Art That Looked Too Much Like an A.I.-Generated Image. Artnet. Zuletzt aufgerufen am 09.03.23. https://news.artnet.com/art-world/artist-ben-moran-banned-from-subreddit-ai-art-2240795.

Cheng, Mingyong. 2022. "The Creativity of Artificial Intelligence in Art." Proceedings 81(110), 5 Seiten.

Johnston, Jay. 2020. "Art." In The Bloomsbury Handbook of the Cultural and Cognitive Aesthetics of Religion, herausgegeben von Anne Koch und Katharina Wilkens, S. 185-192.

Shaffi, Sarah. 2023. "'It's the opposite of art': why illustrators are furious about AI." The Guardian. Zuletzt aufgerufen am 07.02.23. https://www.theguardian.com/artanddesign/2023/jan/23/its-the-opposite-of-art-why-illustrators-are-furious-about-ai.

Vincent, James. 2023. "Getty Images is suing the creators of AI art tool Stable Diffusion for scraping its content." The Verge. Zuletzt aufgerufen am 07.02.23. https://www.theverge.com/2023/1/17/23558516/ai-art-copyright-stable-diffusion-getty-images-lawsuit.

Xiang, Chloe. 2022. "Artists Are Revolting Against AI Art on ArtStation." Vice. Zuletzt aufgerufen am 07.02.23. https://www.vice.com/en/article/ake9me/artists-are-revolt-against-ai-art-on-artstation.



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Letzte Änderung: 24.07.2023