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Christfluencer*innen und das Missionsfeld Social-Media


veröffentlicht am 16.11.2022

Anne-Viktoria Borsch, M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Religionswissenschaft, Heidelberg. Ihre Promotion beschäftigt sich mit evangelikalen Sichtweisen auf aktuelle Verschwörungsnarrative.


Instagram, YouTube und Co. sind aus der heutigen Medienlandschaft sowohl als Kommunikationsmittel als auch als Informationsquelle nicht mehr wegzudenken. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass Christ*innen soziale Medien wie Instagram oder YouTube nutzen (vgl. Campbell, Garner 2016). Daher sollte auch die Existenz von sogenannten Christfluencer*innen erstmal nicht verwundern. Kanäle wie LiMarie oder die amerikanischen Schwestern von Girl Defined stehen dem – meist jungen, meist weiblichen – Publikum mit Tipps zu Kleidung, Makeup, Mediennutzung, aber auch zu Liebe, Sex und soziopolitischen Themen zur Seite. Die Antworten, die sie geben, liegen immer auf einer Linie mit den Sichtweisen konservativer evangelikaler Kirchen. Sie lauten etwa: Kein Sex vor der Ehe, Nein zu Abtreibung oder Ermutigung zum Tragen von sittsamer, körperbedeckender Kleidung. Der Lebensstil, den sie damit präsentieren, soll jedoch modern und hip sein: Kleidung und Makeup folgen aktuellen Trends, die Influencer*innen sprechen über gegenwärtige Hypes in Musik, Film und Fernsehen und bieten häufig Kommentare zu aktuellen Kontroversen in den Medien an (vgl. Krain, Mößle 2020).

Das Schaffen von Beziehungen und die Interaktion mit digitalen Medien und anderen Personen sind die Dreh- und Angelpunkte von sozialen Netzwerken. Beziehungen der Akteur*innen können hierbei sozial sein – wenn eine gleichmäßige soziale Interaktion unter den User*innen stattfindet –, sie können aber ebenso parasozial sein. Parasozialität meint die durch einen stetigen Konsum von Medien ausgelöste Vorstellung, es bestünde eine intime gegenseitige Beziehung zwischen den Konsument*innen und dem/der Medienproduzent*in, wo in Wahrheit eine mehrheitlich einseitige mediale Kommunikation stattfindet (vgl. Reinikainen et al. 2020). Die Influencer*innen werden von ihren Zuschauer*innen als Freund*innen wahrgenommen und erreichen oftmals sogar eine Vorbildfunktion, etwa was Trends oder Verhaltensmuster angeht (vgl. Hutchings 2019; Ki et al. 2020).

Für die jungen christlichen Zuschauer*innen bieten christliche Influencer*innen daher eine gute Möglichkeit, eine identitäts- und gemeinschaftsbildende Teilnahme an sozialen Medien in einem explizit christlichen Rahmen zu erleben. Bei Evangelikalen, einer sozial und theologisch konservativen Strömung des protestantischen Christentums, aber auch in anderen konservativen christlichen Strömungen wird gewarnt, die Akteur*innen sollten – nach Johannes 15, Vers 19-20 – in der Welt sein, aber nicht weltlich. Besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird dabei die Gefahr einer moralischen oder theologischen Korrumpierung durch nicht-christliche Medien gesehen. Christliche Influencer*innen funktionieren für junge Christ*innen daher als Vorbilder und ermöglichen den Konsum von modernen und coolen Themen und Medien, ohne, dass sich die Konsument*innen sorgen, ob die vermittelten Inhalte auch den eigenen theologischen und moralischen Ansprüchen genügen. Religiöses Wissen wird demokratisiert und einfacher zugänglich gemacht (Campbell, Garner 2016). Für die Influencer*innen selbst bedeutet das, dass sie und ihre Medienbeiträge immer wieder der kritischen Musterung durch andere christliche Akteur*innen ausgesetzt sind. Hinterfragt wird, ob ihre Inhalte ausreichend christlich seien oder korrekte theologische Angaben machten. Die schiere Fülle an theologischen Lehrmeinungen und Uneinigkeiten selbst innerhalb evangelikaler Netzwerke bedeutet, dass Kritik unumgänglich ist.

Erklärte Zielgruppe christlicher Influencer*innen sind – neben jungen Christ*innen – vor allem auch nicht-christliche Akteur*innen. Eines der Hauptanliegen evangelikaler Christ*innen ist die Verbreitung des Christentums und die Missionstätigkeit. Zur Kommunikation und Missionierung verwenden evangelikale Akteur*innen schon seit Entstehen der Strömung neue (Massen-)Medien und stellen sich häufig multimedial auf (Campbell, Garner 2016). Christliches Influencing ist aus dieser Perspektive daher nicht revolutionär. In der Selbstdarstellung für ein nicht-christliches Publikum versuchen die Influencer*innen, eine Balance zu halten zwischen dem offenen Zurschaustellen der eigenen Religion und anderen Inhalten, die ein möglichst diverses Publikum ansprechen sollen (Krain, Mößle 2020). So präsentieren sie sich als moderne, aufgeklärte Menschen, in deren Leben Gott dauerpräsent sei. Christlich zu leben wird als rein positiver Effekt auf das eigene Leben präsentiert; die Hinwendung zu Gott als etwas, das eine sichtbare Veränderung in der eigenen Existenz bewirkt. Eine konservativ-christliche Moral wird so einerseits regelrecht beworben, andererseits immer als Lebensgrundlage der Influencer*innen vorausgesetzt.

Verwendete Literatur:

Campbell, Heidi A. und Stephen Garner. 2016. Networked Theology. Negotiating Faith in Digital Culture. Grand Rapids: Baker Academic.

Hutchings, Tim. 2019. "Emotion, Ritual and Rules of Feeling in the Study of Digital Religion." The Digital Social. Religion and Belief, herausgegeben von Alphia Possamai-Inesedy und Alan Nixon, 110-128. Berlin, Boston: Walter de Gruyter GmbH.

Ki Chung-Wha, Cuevas, Leslie M., Sze Man Chong und Heejin Lim. 2020. "Influencer marketing: Social media influencers as human brands attaching to followers and yielding positive marketing results by fulfilling needs." Journal of Retailing and Consumer Services 55(2020): 1-11.

Krain, Rebekka und Laura Mößle. 2020. "Christliches Influencing auf YouTube als 'doing emotion'." ÖRF 28(2020): 161-178.

Reinikainen, Hanna, Juha Munnukka, Devdeep Maity und Vilma Luoma-aho. 2020. "'You really are a great big sister': parasocial relationships, credibility, and the moderating role of audience comments in influencer markenting." Journal of Marketing Management 36(3-4): 279-298.




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Letzte Änderung: 16.11.2022