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Die Ahmadiyya: The Mission Visible through Media


veröffentlicht am 22.03.2023

Autor: Benedikt Kastner, M.A.


„Digitale Medien eröffnen Muslim*innen die Möglichkeit, die Religion des Islam zu verbreiten“ erläutert Farhad Ahmad, Imam der Baitful Futuh Moschee im Großraum London. Laut Ahmad bergen Technologien Chancen, um Menschen auf der ganzen Welt den Islam näherzubringen. Durch die Nutzung digitaler Technologien werde es Nicht-Muslim*innen ermöglicht, mit der islamischen Religion in Kontakt zu kommen, sie kennenzulernen und sie zu erleben. Wenn Ahmad vom Islam spricht, meint er die Tradition der Ahmadiyya-Muslim-Jamaat (AMJ), einer Absplitterung der 1889 in Indien gegründeten Ahmadiyya-Bewegung. Der Kalif, das religiöse Oberhaupt der Gruppierung, habe sich laut Ahmad schon seit den ersten Tagen der AMJ für die Nutzung von Medien, wenn auch damals analogen, ausgesprochen, um die Weltöffentlichkeit auf die Ahmadiyya aufmerksam zu machen.

Was die Ahmadi, die Anhänger*innen der AMJ, von anderen Muslim*innen unterscheidet, ist unter anderem der Stellenwert, den sie den Schriften des Gründers ihrer Bewegung, Mirza Ghulam Ahmad, zuschreiben. Seinen Veröffentlichungen entnehmen sie etwa die Ansichten, dass die islamische Tradition tolerant, rational, international, friedfertig und progressiv sei, sowie dass der Islam verbreitet werden müsse. Verfolgung und Bedrohung durch andere muslimische Gruppierungen gibt Ahmad als Gründe an, mit denen er die Hinwendung der Ahmadi zu einem aktiven Einsatz bestimmter Medien für den Missionsauftrag erklärt. Beispielsweise habe das kontaktlose Bewerben der eigenen Religion durch Flyer Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dazu geführt, viele Anhänger*innen der Ahmadiyya vor einem gewaltvollen Schicksal zu bewahren. Warum sich die Ahmadi gegen andere Muslim*innen schützen mussten? Sie stellten, so Farhad Ahmad, Deutungshoheit und Macht bestehender muslimischer Gruppierungen über die islamische Religion und ihre Theologen infrage.
Dem Anspruch, die eigene Religion zu verbreiten, seien die Ahmadi laut Ahmad mit den Flyern dennoch nachgekommen. Bei den Flyern handele es sich schließlich um ein Medium, das für die religiöse Wissensvermittlung genutzt wurde. Der Vorteil: kein persönlicher Kontakt zu den Empfänger*innen der Reklamezettel sei notwendig gewesen. Die Folge: ihre Vorstellungen über den Islam wurden nach und nach rezipiert.

Während um die Jahrhundertwende vor allem Bücher und Flugblätter von Seiten der Ahmadi dazu genutzt wurden, um die Anzahl an Mitgliedern zu erhöhen, also um zu missionieren, und die Gemeinschaft damit ideell zu stärken, wurden Bücher in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schnell von Kassetten, CDs, einem Radiosender und einem Fernsehprogramm abgelöst. Im 21. Jahrhundert sind es vor allem Websites, Apps, Podcasts und Social-Media-Portale, die die Ahmadi für die Vermittlung und die Praxis ihrer Religion nutzen (vgl. Stolow 2008: 187–197). Im Fokus steht, den jeweiligen Zeitgeist, der sich sowohl in Medientechnologien widerspiegelt als auch von ihnen geprägt ist, für die eigenen Missionszwecke zu verwenden.

Angelehnt an die sogenannten Wellen der Medialisierung nach Nick Couldry und Andreas Hepp prägten die technischen Innovationen der letzten 150 Jahre die religiöse Vermittlung und damit die soziale Realität der AMJ. Mit dem Ausdruck Wellen der Medialisierung sprechen die beiden Medienwissenschaftler technische Entwicklungen an, die sich auf die Beziehung von Medien, Kommunikation und sozialen Praktiken langzeitig auswirken (vgl. Couldry, Hepp 2017: 39). Der Fernsehsender Muslim Television Ahmadiyya (MTA) etwa wurde von den Programmverantwortlichen dafür eingesetzt, die freitägliche Ansprache des Kalifen live zu übertragen, religiöse Bücher zu besprechen, den Koran zu diskutieren und um interaktive Q&As auszustrahlen. Sprich, eine soziale Realität, die vor MTA primär in der Moschee gelebt und praktiziert wurde, transportierte das Team des Fernsehsenders in die Wohnzimmer seiner Zuschauer*innen. Imam Farhad Ahmad von der Baitful Futuh Moschee meint, dass so die Beziehung zum Kalifen sowie das Gemeinschaftsgefühl der Ahmadi gestärkt wurde. Hinzu habe MTA dazu beigetragen, die Ahmadiyya bekannter zu machen, die Mitgliederanzahl zu erhöhen und damit den Bau eigener Moscheen zu fördern. Die Baitful Futuh Moschee beispielsweise, nach der Moschee in Rom die zweitgrößte Moschee in Westeuropa und die größte der AMJ außerhalb Pakistans, ist eine von vielen Moscheen in Großbritannien, die von den Ahmadi in den letzten Jahrzehnten gebaut und erweitert wurde.

Ein neues Projekt der Imame und Softwareingenieure der Moschee ist die Entwicklung einer App, die durch KI, also Künstliche Intelligenz, gesteuert wird. Im Fokus steht dabei die Optimierung der religiösen Praxis: Beispielsweise können Nutzer*innen Gebete kennenlernen und sie individuell einüben. Hierfür nutzt das App-Team Algorithmen, die User*innen durch ein Quiz-Format dazu motivieren sollen, sich die Wortabfolgen anzueignen. Wenn die Antworten der Nutzer*innen falsch ausfallen, schickt ihnen die KI Benachrichtigungen zu, die einerseits auf den individuellen Alltag angepasst sind und andererseits den Ansporn geben, es beim nächsten Mal besser zu machen. Das Motto zur App: digitale Innovationen so zu nutzen, dass muslimische Vorstellungen auch im 21. Jahrhundert gelebt und verbreitet werden. Theologische Diskussionen über die Nutzung von KI für die Religion fielen laut Ahmad positiv aus. Im Vordergrund stünde, so der Imam, wie bei jedem Medium der Nutzen, den es der Ahmadi bringen könne.

Eine religiöse Praxis jedoch, die Muslim*innen nicht digital, sondern analog auszuüben haben, sei das Freitagsgebet. Laut Ahmad könne das Gebet nur in Präsenz zusammen mit der Gemeinschaft und in der Moschee praktiziert werden; eine Ausnahme, die bei der Affinität der Ahmadi für Digitalisierung heraussticht und auch während der Corona-Pandemie für Herausforderungen gesorgt hat.
Gegenwärtig nutzen die Anhänger*innen der Ahmadiyya einen Pool von digitalen Tools und beabsichtigen damit, ihre Religion mit anderen Menschen zu teilen und sie in der Gesellschaft fest einzugliedern. Dabei nutzen sie stets jene technischen Entwicklungen, die ihnen ihre Umwelt liefert und setzen sie dafür ein, ihre Religion zu transformieren und sie dem jeweiligen Zeitgeist anzupassen. Um zu erfahren, welches Medium in der Zukunft von den Ahmadi genutzt werden könnte, hilft vielleicht ein Blick ins Silicon Valley, dem sogenannten Mekka für technische Innovation.

Anmerkungen zum Interview:

Der vorliegende Blogbeitrag referenziert auf ein Interview mit Farhad Ahmad (02.08.2022). Das Interview wurde von Benedikt Kastner auf Englisch geführt und abschnittsweise von ihm ins Deutsche übersetzt.


Verwendete Literatur:

Couldry, Nick, und Andreas Hepp. 2017. The Mediated Construction of Reality. Cambridge, Malden: Polity Press.

Stolow, Jeremy. 2008. „Technology“. In Keywords in Religion, Media and Culture, herausgegeben von David Morgan, 187–97. New York, London: Routledge.




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Letzte Änderung: 22.03.2023